
Unsere menschliche Aufmerksamkeit ist eine limitierte Ressource. In der modernen Welt wird unsere Aufmerksamkeit durch permanente Benachrichtigungen, Informationsüberflutung und dauerhafte Erreichbarkeit ständig gefordert was zu kognitiver Überlastung und Stress führen kann. Die Interaktion mit Technologie und digitaler Information ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Dabei wird die Art und Weise, wie wir mit ihr interagieren grundlegend durch die eingesetzten Ein- und Ausgabemedien begrenzt.
Viele moderne Produkte und Technologien nutzen fast ausschließlich grafische Benutzerschnittstellen und sprechen dadurch hauptsächlich den visuellen Sinn des Nutzers an. Grafische Benutzerschnittstellen fordern konstant Aufmerksamkeit vom Nutzer und vernachlässigen die Fähigkeit des Menschen, Informationen im Hintergrund und über andere Sinne zu verarbeiten.
Diese eindimensionale Art der Interaktion hat mich schon während meinem Bachelor beschäftigt und mich dazu bewegt, mich mit alternativen Benutzerschnittstellen auseinanderzusetzen. Mein Fokus lag damals auf den greifbaren Benutzerschnittstellen (Tangible User Interface) durch deren Einsatz ich eine alternative Herangehensweise zeigen wollte, um dem immer stärkeren Verlust der realen Welt in Zeiten digitaler werdenen Lebensumstände entgegenzuwirken. Konkret ging es in meiner Abschlussarbeit um die Kommunikation im virtuellen Raum und wie eine greifbare Benutzerschnittstelle ein Gefühl der Präsenz und physischen Verbundenheit schaffen-, sowie die Informationsübermittlung positiv beeinflussen kann.
Durch diese Arbeit konnte ich bereits feststellen, welchen Einfluss die Wahrnehmung über unterschiedliche Sinne auf die User Experience -und die Fähigkeit Informationen zu verarbeiten haben kann. Anders als in meiner Abschlussarbeit wollte ich mich im Rahmen dieser Blogeinträge aber nicht nur auf greifbare Benutzerschnittstellen beschränken, sondern das Thema zunächst breiter umreißen.
Mit was genau möchte ich mich beschäftigen?
Um mein Thema einzuleiten möchte ich mit diesem Zitat von Mark Weiser beginnen: “The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.”
Diese Zitat beschreibt den Prozess der Integration jeder größeren neuen Technologie. Zunächst ist sie Präsent und im Fokus unserer Aufmerksamkeit. Mit der Zeit wird sie Massentauglich und rückt immer mehr in den Hintergrund, und bereichert unsere Umgebung. Ein Beispiele hierfür ist die Erfindung des Buchdrucks. Zunächst nur für jene verfügbar, die die Fähigkeiten und Mittel hatten, mittlerweile findet sich Schrift überall in unserer physischen Welt wieder und vermittelt uns Informationen wo und wann wir sie brauchen, ohne dass wir aktiv darüber nachdenken müssen.
Die Computertechnologie hat ebenfalls so angefangen. Zunächst nur Unternehmen und Universitäten vorbehalten ist sie heute kleiner, günstiger, leistungsfähiger und so weitflächig verfügbar und wird immer stärker auch in Alltagsgeräten eingesetzt um diese smart zu machen. Beispiele hierfür sind Smart Devices (physische Objekte, die mit Sensoren und Kommunikationstechnologien ausgestattet sind) wie Lichter, Lautsprecher, Küchengeräte und vieles mehr. Dieses Konzept der Technologien, die in unsere Umgebung integriert sind, wird Ubiquitous Computing gennant.
Um nun einen Schritt weiter zu gehen, möchte ich kurz den Ansatz der Calm Technology anreißen. Hier geht es nicht mehr hauptsächlich um die Integration von Computertechnologie in die physische Welt oder die physische Interaktion im Allgemeinen, sondern um die Art und Weise wie Technologie mit uns Menschen kommuniziert. Calm Technologie formuliert Prinzipien, die im Designprozess berücksichtigt werden können, um Technologie so zu gestalten, dass sie nicht ständig die volle Aufmerksamkeit des Nutzers beansprucht. Informationen sollen erst dann übermittelt werden, wenn sie gebraucht werden und den Nutzer nicht in seinem Flow stören, sondern unterstützten indem sich auf die peripheren Sinne konzentriert wird.
Research Fokus
Für meinen Research wird das Prinzip der Calm Technology die grundlegende Richtung vorgeben. Dabei möchte ich mich mit dem Einsatz von alternativen Interaktionskonzepten beschäftigen, welche potentiell die Informationslast für den Nutzer verringern – und die Technologie mehr in den Hintergrund rücken lassen kann.
Auf diese Weise kann unsere Umgebung durch Technologie bereichert werden ohne zu stören oder abzulenken. Meine zentrale Frage wird dabei sein:
Wie können Systeme digitales Feedback an den Nutzer übermitteln, ohne die Aufmerksamkeit unnötig zu belasten?
- Wie kann die Fähigkeit des Menschen, Informationen im Hintergrund und über andere Sinne zu verarbeiten genutzt werden, um Informationen zu vermitteln?
- Wie können Interaktionen mit der physischen Welt als Nutzereingaben verwendet werden, um die Interaktion mit einem digitalen System unterschwelliger zu machen und Systemfeedback/Informationen zu den benötigten Zeitpunkten zu vermitteln?
- Welche Arten der Interaktionsschnittstellen bestehen und wie werden sie aktuell als Eingabemedium und im Hinblick auf Systemfeedback eingesetzt?
Mögliche Einsatzgebiete
Um meinen Research etwas einzuschränken habe ich mir überlegt, in welchen Bereichen ich einen besonderen Mehrwert alternativer bzw. physischer Interaktionsformen sehe.
Zum einen finde ich den Einsatz im Bereich Accessibility interessant, da es dort in einigen Fällen üblich ist, bestehende digitale Anwendungen durch haptische Add-ons zu erweitern oder nach den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Zudem ermöglichen physische Interaktionen mehr Nutzern mit einer digitalen Anwendung zu interagieren oder die Interaktion mehr an die persönlichen Fähigkeiten und Präferenzen anzupassen. So ergibt sich eine Vielzahl neuer Interaktionswege. Dies kann nicht nur für Menschen mit Beeinträchtigungen hilfreich sein, sondern die Interaktion zwischen Mensch und Technik im Allgemeinen bereichern. Dies hat sich bereits in der Vergangenheit zum Beispiel mit der Einführung von Untertiteln gezeigt. Diese werden heute auch von hörenden Menschen gerne verwenden.
Zum anderen bietet sich auch der Bereich der Medizintechnik an. Dort ist oft eines der Ziele eine Verhaltensänderung beim Patienten zu erreichen. Diese Art des Designs fällt unter das Konzept des behavioural Designs. Hier könnte untersucht werden, inwiefern sich das Konzept von physischen Interaktionen mit Prinzipien des behavioural Design kombinieren lassen, um eine Verhaltenänderung beim Nutzer hervorzurufen.
Relevanz für Design
Alternative, unkonventionelle Interaktionskonzepte und Ansätze wie das Ubiquitous Computing und Calm Technology können eingesetzt werden, um die Grenzen herkömmlicher Interaktionsweisen aufzubrechen und ein Umdenken zu provizieren. So können neue Lösungen für bestehende Probleme gefunden werden. Die fortschreitende Entwicklung digitaler Systeme muss nicht zwangsläufig zu einem Verlust der interaktion mit der physischen Welt führen, sondern kann durch die Verschmelzung beider Welten zu einer Bereicherung der Mensch-Computer-Interaktion beitragen.
References:
- Weiser, M. (1991): “The Computer for the 21st Century”, Scientific American.
- Weiser, M., Seely Brown, J. (1995): “Designing Calm Technology“, Xerox PARC
- Weiser, M., Seely Brown, J. (1996): “The Coming Age of Calm Technology“, Xerox PARC
- Ishii, H., & Ullmer, B. (1997): “Tangible Bits: Towards Seamless Interfaces between People, Bits and Atoms“
- Ishii, H. (2008): “Tangible Bits: Beyond Pixels“, New York, NY: ACM.
- Case, A. (2015): “Calm Technology: Principles and Patterns for Non-Intrusive Design“
- Wickens (2008): “Multiple Resources and Mental Workload“
- Lipp, Lauritz L. (2004): “Interaktion zwischen Mensch und Computer im ubiquitous computing. Alternative Ein- und Ausgabemöglichkiten für allgegenwärtige Informationstechnologien.” 1. Aufl. Münster: Lit Verlag (Publizistik, Bd. 13).
- https://calmtech.com/about
- https://www.calmtech.institute/calm-tech-principles
- https://tangible.media.mit.edu/project/tangible-bits/
- https://inclusive.microsoft.design





